Porträtfotos und die Schokoladenseite in der Fotografie

Es kommt immer wieder die Frage in der Porträtfotografie auf: „Was ist die Schokoladenseite?“. Also welche Gesichtshälfte bietet sich mehr an bzw. mit welcher Gesichtshälfte kommt der Porträtierte besser zur Geltung?

Woher kommt der Spruch mit der Schokoladenseite?

Die meisten Menschen mögen Schokolade und das meiste mit Schokolade überzogene Gebäck hat nur eine Schokoladenseite. Diese Schokoladenseite wird zusätzlich mit Glanz überzogen, damit diese besonders appetitlich aussieht und glänzt. Wir haben also eine Redewendung, die es seit Anfang der Schokoladenkekse gibt.

Warum 2 verschiedene Gesichtshälften?

Grundsätzlich ist die Frage, warum überhaupt die Gesichtshälften unterschiedlich sind, dass es somit eine optisch besser aussehende Seite gibt.

Die Mehrheit der Menschen hat Unterschiede zwischen den Gesichtshälften. Diese sind mehr oder weniger ausgeprägt. Das können Kleinigkeiten sein bis hin zu einer krummen Nase oder unterschiedlich großen Augen. Natürlich bildet der darunterliegende Schädel mit seinen Knochen die Kopfform und somit die daraus resultierende Gesichtsform. Diese Kopfform kann bereits von den Seiten variieren, was somit auch zu den unterschiedlichen Gesichtshälften führt. Bei der Geburt ist der Schädel bisher nicht starr, um eine einfachere Geburt möglich zu machen. Die Schädelknochen „verfestigen“ sich erst nach der Geburt.

Die wenigsten Menschen besitzen also 2 absolut symmetrische Gesichtshälften! Hat man ein Modell mit 2 symmetrische Gesichtshälften muss man bei der Lichtsetzung aufpassen, dass dies auch optisch so auf dem Foto sichtbar wird. Hier bietet sich hochfrontales Licht an (siehe Lichtsetzung Porträtfotografie im Kurs).

9 verschiedene Ansätze für die Bestimmung der fotografischen Schokoladenseite und eine wissenschaftliche Antwort

Hier gibt es verschiedene Ansätze, um die besser aussehende Gesichtshälfte herauszufinden.

1. Selfie-Seite der Generation „Handy“

Die Generation „Handy“ macht mit großer Begeisterung Selfies. Dabei liegt hier schon die eigene Wahl der Gesichtshälfte vor. Interessant zu untersuchen wäre hier einmal, ob dies an der unbewussten Wahl der schöneren Gesichtshälfte liegt oder ob das der Arm und die Hand ist, die besser das Handy bedienen kann.

Allerdings haben wir als Fotografen den Vorteil, dass es für den Porträtierten der gewohnte Anblick von sich ist und er diesen schätzungsweise grundsätzlich schon gut findet.

2. Der Scheitel der Frisur

Sehr oft liest man die Information, dass die Gesichtshälfte die Schokoladenseite auch sein soll, auf welcher der Scheitel der Frisur sitzt. Interessant ist, dass der Scheitel anatomisch durch die darunterliegende Knochenpartie bestimmt wird (Scheitelbein lat. Os parietale), die die Schädelnähte bestimmen.

Weiterhin kann der Scheitel auch künstlich durch das Formen der „Haarpracht“ gebildet werden.

Unter dem Strich kann man sich als Fotograf jetzt fragen, warum gerade die Lage des Scheitels die schönere Gesichtshälfte zeigen soll.

Hier wäre eine logische Begründung, dass diese Gesichtshälfte mehr Licht abbekommt und damit mehr vom Menschen zu sehen ist und daher als Schokoladenseite gilt. Es kann also weniger durch Haare versteckt werden.

Einfach einmal probieren und testen.

Allerdings kann auch sein, dass andere Merkmale wie unterschiedliche Augengröße und Nasenform dagegensprechen. Siehe folgenden Punkte.

3. Unterschiedliche Augengröße für die Schokoladenseite berücksichtigen

Haben wir einen Menschen mit deutlich unterschiedlich großen Augen, erscheint das der Kamera zugewandte Auge noch größer, wohingegen das der Kamera abgewandte Auge optisch kleiner erscheint.

Daher ist der Tipp bei unterschiedlich großen Augen für Fotografen, das kleinere Auge weiter vorn zu platzieren. Somit wirken die Augen harmonischer von der Größe.

4. Krumme Nase betonen oder abmildern

Einige Menschen haben auch eine in eine Richtung krumme Nase. Diese Krümmung kann durch die Wahl der Gesichtshälfte betont oder abgemildert werden. Hier wird der Porträtierte meistens die abgemilderte Form bevorzugen.

5. Die Größe des Mundes und Lippen: Form, Größe, Verhältnis

Wir rutschen langsam nach unten von den Augen zum Mund.

Teilweise liest man über den Goldenen Schnitt, was man auch auf die Mundbreite anwenden kann. Durch die Wahl der Seite und ob wir komplett eine Profilaufnahme aufnehmen, wird die Mundbreite optisch deutlich anders wahrgenommen. Wichtig ist einfach als Fotograf, sich der gegenüberstehenden Person bewusst zu sein und deren Vorzüge und Problembereiche zu kennen.

Auch hier kann man eine Wissenschaft daraus machen und ein Chirurgenteam von der University of California (USA, Irvine) haben dazu „geforscht“. Wenn die Unterlippe doppelt so groß ist, wie die Oberlippe, wird dieses Verhältnis als besonders schön wahrgenommen.

Allerdings wollen wir den Porträtierten nicht erst zum Chirurgen zum Aufspritzen schicken (was ich persönlich als nicht besonders attraktiv empfinde). In der Studie der Chirurgen kam auch heraus, dass es ein zu viel gibt (was ich als Schlauchbootlippen bezeichnen würde) und man die Proportionen einhalten muss.

Es ist, wie es ist, und wir als Fotografen können die vorliegenden Gegebenheiten betonen durch Positionierung und Lichtsetzung oder in den Hintergrund rücken.

Auch hier gilt: Was näher an der Kamera ist, wird optisch größer dargestellt.

6. Kinn betonen oder zurücknehmen

Hat man nun die bevorzugte Gesichtshälfte gefunden, sollte man auf den Winkel achten. Wird das Gesicht leicht von unten fotografiert, wird das Kinn betont. Hat der Porträtierte ein kleines Kinn, wird dieses durch das Platzieren näher an der Kamera (Winkel leicht von unten) optisch größer.

Soll ein großes Kinn optisch kleiner dargestellt werden, hilft die Aufsicht.

7. Doppelkinn da und ungeliebt?

Hat der Porträtierte ein Doppelkinn und möchte dieses optisch kaschieren, sollte auch eine leichte Aufsicht beim Fotografieren gewählt werden.

Ein Doppelkinn kann selbst bei ansonsten schlanken Menschen durch genetische Veranlagung entstehen. Oft sammelt sich einfach Fett oder durch Alterungsprozesse überschüssiges Gewebe.

Allerdings kann auch das Gegenteil vorliegen und es eine schöne Kontur sein. Diese kann man als Fotograf auch betont zeigen.

Darauf sollte man als Fotograf achten und dieses optisch entsprechend kaschieren oder betonen.

Allerdings sollte man mit dem Winkel nicht übertreiben. Zu stark von unten macht eine typische Filmbösewichtaufnahme aus. Zu stark von oben provoziert optisch den Eindruck von einem Wasserkopf.

8. Das richtige Objektiv bzw. die richtige Brennweite

Die Wahl der Brennweite bewirkt den Look des Gesichts. Wie am folgenden Beispielfoto zu sehen ist, können Beine optisch extrem verlängert oder verkürzt werden.

Was für Beine gilt, gilt auch für das Gesicht.

Möchte man an das für Menschen gewohnte Bild kommen, kann man 50 mm (KB-Format) nutzen. Das entspricht unserer Sehgewohnheit.

Andere Brennweiten bzw. Objektive verzerren das Bild. Somit kann optisch eine sehr runde Gesichtsform entstehen oder auch das Gesicht schmäler erscheinen.

Weitwinkel-Objektive verzerren sehr stark. Somit wird eine mittig platzierte Nase riesig erscheinen und die Ohren sehr klein.

Dagegen wirken Gesichter durch Brennweiten ab 100 mm schnell flach.

Probieren und testen! Bewusst einsetzen. Manche Menschen sind glücklich, wenn sie schmäler dargestellt werden, andere, wenn das schmale Gesicht breiter erscheint.

9. Wissenschaftliche Aussage zur Schokoladenseite für das Fotografieren

In der Wake Forest University in North Carolina, USA haben die zwei Wissenschaftler K. Blackburn und J. Schirillo 2012 die Untersuchung mit dem Namen „Emotionale hemisphärische Unterschiede, gemessen in realen Porträts unter Verwendung des Pupillendurchmessers und subjektiver ästhetischer Vorlieben“ (Originaltitel: „Emotive hemispheric differences measured in real-life portraits using pupil diameter and subjective aesthetic preferences“ https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/22526951/ ) abgeschlossen.

Hier bekommen wir eine wissenschaftliche Aussage zu unserer Frage nach der besseren Gesichtshälfte für die Fotografie.

Die Antwort ist kurz: die linke Gesichtshälfte ist die "Schokoladenseite" (also vom Fotografen aus gesehen rechts). Dabei ist das Geschlecht ohne Auswirkung!

Was wurde in der Untersuchung gemacht? Anhand der Änderung des Pupillendurchmessers beim Betrachten von Porträts konnte auf die bevorzugte Gesichtshälfte geschlossen werden. Es liegt also eine linksseitige ästhetische Tendenz vor. Wer die Publikation nachlesen möchte, findet diese unter dem obigen Pubmed-Link.

Meine Mutmaßung ist, dass die rechte Gehirnhälfte dafür ausschlaggebend ist. Die rechte Gehirnhälfte ist für Emotionen zuständig. Die rechte Gehirnhälfte ist für die linke Körperhälfte zuständig, die rechte Gehirnhälfte dominiert die linke Körperseite. Durch die spiegelverkehrte Schaltung werden diese Emotionen deutlich auf der linken Gesichtshälfte gezeigt und somit ist diese für den Gegenüber wichtiger und wird dadurch als ästhetischer wahrgenommen (das ist meine Mutmaßung in Kurzform).

Fazit: Schokoladenseite für Porträtaufnahmen

Auch wenn man alle bisher aufgeführten technischen Punkte berücksichtigt, ist ein bisher unerwähnter Punkt extrem wichtig!

Emotionen! Kann eine ehrliche Emotion eingefangen werden, wird diese ein Bild um das 100-fache aufwerten. Selbst ein technisch unperfektes Foto kann durch eine deutlich sichtbare Emotion zu einem besonderen Foto werden.

Und wie immer steckt hier Übung dahinter. Neben der technischen Übung vor allem das Sehtraining für den Fotografen, um schnell die vorteilhaften Punkte auszumachen und was man weniger betonen möchte. Hier ist dann die einfühlsame Kommunikation gefragt und die Anleitung des Modells während des Shootings. Negative Punkte sehen ist wichtig – diese aber dem Modell auf die Nase zu binden ist ungeschickt. Also immer positiv beim Formulieren sein.

Viel Spaß bei der nächsten Porträtsitzung und das bestimmen der Schokoladenseite. Hier kann man bei sich selbst und einem Badspiegel starten.

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