Porträtfotografie
Porträtfotografie ist die Kunst, in genau dem Augenblick zu fotografieren, wenn die 26 Gesichtsmuskeln dem Porträtierten den idealen und zur Person passenden Ausdruck ins Gesicht zaubern. Aber Spaß beiseite: Porträtfotografie ist ein interessanter Bereich der Fotografie, da Menschen gerne Menschen betrachten.
Die Seele der Porträtfotografie
In einer schönen Erzählung von Woody Allen sagt er, er habe in der Metaphysik-Prüfung geschummelt – er habe nämlich dem Nachbarn in die Seele geschaut. Das sagt viel. Und eigentlich ist dies der zentrale Satz für mich bei der Porträtfotografie.
Es geht meiner Meinung nach nicht darum, jemanden einfach abzulichten (man könnte auch knipsen sagen), sondern ein Foto von jemandem zu machen, das nach Möglichkeit ihn und seine Person wirklich zeigt – die individuelle Persönlichkeit. Und zwar nicht in der Form, die ich bei einem Baugutachter erlebt hatte. Er beklagte sich, dass seine Fotos nicht ankommen. Nachdem ich seine Fotos sah, war mir auch klar warum. Er fotografierte Menschen wie Gebäude zur Dokumentation der Bauschäden. Die Fotos waren technisch brillant und es blieb auch absolut kein Makel verborgen.
Natürlich ist das gerade angeschnittene Thema das schwierigste in der Porträtfotografie – aber bevor wir dazu kommen, noch vorneweg Technik und Grundlagen.
Unterschiedliche Perspektiven fürs Porträt:
Frontal, Halbprofil, Dreiviertelprofil und Profil
Bei diesen vier Perspektiven wird der Blickkontakt zum Fotografen immer weniger. Frontal ist der direkte Blickkontakt zur Kamera. Im Profil schaut der Porträtierte einfach zur Seite.
Porträt frontal:
Die Person kann sehr massiv wirken. Oft wird eine Mischung aus frontal und Halbprofil eingesetzt. Der Kopf schaut frontal zum Fotografen, während der Oberkörper gedreht ist wie im Halbprofil. Dadurch kommt mehr Dynamik ins Foto.
Porträtfoto im Halbprofil
Bietet sich an bei Personen mit unterschiedlich großen Augen. Das kleinere Auge kann dann weiter vorne sein und wirkt dadurch größer.
Porträt im Dreiviertelprofil
Bitte darauf achten, dass die Nase nicht die Umrisse des Gesichts durchbricht, was meistens merkwürdig aussieht.
Porträt im Profil:
Kann durch ein markantes Profil sehr interessant sein. Sind die zwei Gesichtshälften sehr unterschiedlich, ist das Profil eine geschickte Sache, da ja hier nur eine Gesichtshälfte zu sehen ist.
Je nach Person wirken die Perspektiven sehr unterschiedlich.
Tipps zu den Perspektiven
Bei einer Person mit sehr ausgeprägter Nase wird diese Nase im Profil wesentlich deutlicher zu sehen sein. Jetzt kommt es natürlich darauf an, wie die Person zu ihrer Nase steht. Wird die Person frontal fotografiert, wird die Nase weniger stark zur Geltung kommen. Es muss nicht immer die Nase sein – genauso können Kinn oder Stirn oder Augen sehr ausgeprägt, bzw. klein, sein. Achten Sie darauf und probieren Sie einfach alle Perspektiven aus.
Und auch hier gilt: Mit der porträtierten Person darüber sprechen, was sie besonders gerne an ihrem Gesicht hat. Immer im Positiven bleiben! Die Frage „Was können Sie am wenigsten an sich leiden?“ zerstört die Stimmung und kann auch das ganze Shooting negativ beeinflussen – es sei denn, man möchte verärgerte Menschen ablichten (würde bestimmt auch zu Cholerikern passen).
Augenhöhe bei der Perspektive (Standort des Fotografen)
Wir können auch die Perspektive auf die porträtierte Person ändern. Interessant (auch psychologisch) sind die sehr unterschiedlichen Wirkungen – hier können schnell Emotionen transportiert werden.
Porträtfoto auf Augenhöhe
Dies ist schätzungsweise der „gewohnte“ Blick auf Menschen, wenn man selber bei der Körpergröße einigermaßen im Bereich der „Normalgröße“ liegt. Sprich: diese Ansicht sind wir täglich gewohnt, wenn wir anderen Menschen auf Augenhöhe beim Gespräch frontal in die Augen sehen.
Porträtfoto unterhalb der Augenhöhe
Fotografiert man eine Person von unten, wirkt diese größer, erhabener oder unter Umständen hochnäsig (je nach Streckung des Halses). Wir „blicken“ quasi zur Person auf. Das ist das Foto, das viele Firmenchefs sehen wollen, wenn diese zum Fotografen gehen. Viele Ölgemälde hängen auch genau aus diesen Grund erhöht, damit man zu den Personen aufblicken muss.
Porträts von oben
Wenn wir ein Porträt von oben fotografieren, kann auch hier sehr viel Emotion aufkommen. Wir blicken auf jemanden herunter (Kinder, Bedienstete (ok, falsches Jahrhundert) oder andere Unterwürfige …). Wobei diese Perspektive in Maßen durchaus der Realität entspricht, da die durchschnittliche Körpergröße der Männer größer ist als die der Frauen. Wird also eine Frau leicht von oben fotografiert, kann das durchaus der Sehgewohnheit der Männer entsprechen (und da viele Fotografen männlich sind und darunter anscheinend viele mit Knieproblemen, die ein Heruntergehen wohl nicht möglich machen, wird man viele Porträts von Frauen so sehen).
Die Perspektive von oben kann auch Traurigkeit oder ein schlechtes Gewissen symbolisieren. Der gesenkte Blick zeigt beim normalen Gespräch, dass der Gegenüber einem nicht in die Augen sehen möchte.
Probieren Sie die verschiedenen Kamerapositionen aus und lassen Sie die Fotos auf sich wirken. Welche Emotionen empfinden Sie dabei?
Im Folgenden werden die unterschiedlichen Möglichkeiten der Bildgestaltung bei der Porträtfotografie anhand einer Schaufensterpuppe gezeigt. Diese hat den Vorteil, dass sich ihre Mimik nicht verändert.
Porträts von unten oder oben verändern auch die Mund-, Nasen-, Augen- und Stirnpartie – diese erscheint im Vergleich zur normalen Ansicht in der Größe „ungewohnt“ – was auch einen erfrischenden Eindruck erwecken kann. Der Hals kann z.B. von unten wesentlich länger bzw. von oben wesentlich kürzer wirken.
Bei den obigen Beispielfotos sind die Augen immer auf gleicher Höhe und nahezu gleich groß, damit die Unterschiede besser sichtbar werden.
Brennweite und Porträtfotos
Die verwendete Brennweite des Objektivs ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Die Gesichtsform ändert sich je nach Brennweite. Auf dem folgenden Bild ist zu sehen, wie sie sich auf Gesichtsform und Beine auswirkt. Noch deutlicher wird es bei den Extremen wie 8mm (Fisheye). Daher sollte ein realistisches Porträt mit einer Brennweite zwischen 50mm und 100mm gemacht werden. Obige Beispiele wurden mit einer Kleinbildkamera gemacht - sprich KB-Format bzw. bei den Digitalkameras spricht man gerne vom Vollformat-Sensor. Hat Ihre Kamera einen Crop-Faktor von z.B. 1,5, erhalten Sie aus der 50mm-Brennweite dann faktisch eine Ausschnittvergrößerung und nicht die optischen Eigenschaften eines Objektivs mit 75mm (50mm * 1,5 Cropfaktor).
Das Spannende bei Objektiven über 70mm (KB-Format!) ist, dass diese eine leichte Kissenverzerrung haben. Somit wird der Porträtierte schlanker im Gesicht. Für viele Menschen passt das gut. Hat aber jemand bereits ein sehr schmales Gesicht, kann diese Verzerrung unerwünscht sein.
Also bitte auf die perspektivischen Verzerrungen achten! Ein groteskes Porträt bekommt man mit einem Fisheye-Objektiv. Das gibt große Nasen, und, wenn von oben fotografiert wird, einen sehr kleinen Körper.
Bei Brennweiten über 150mm wird schnell ein sehr flaches Gesicht gezaubert.
Bildausschnitte beim Porträtfoto
Es gibt verschiedene typische Varianten beim Bildausschnitt. Das normale Porträt, das man aus der Malerei kennt, zeigt vorzugsweise ein Brustbild. Modern erhält man ein Brustbild quer – wobei sich immer die Frage stellt, was ist dann rechts oder links von der Person zu sehen. Hier bietet sich an, die porträtierte Person in ihrem normalen Umfeld zu zeigen (was die Person quasi ausmacht, über was sich die Person definiert).
Porträt Gesicht: Das Gesicht ist bildfüllend aufgenommen.
Angeschnittenes Gesicht: Es wird nur das Gesicht dargestellt – der Hintergrund ist i.d.R. nicht sichtbar, da das Gesicht die gesamte Fläche des Fotos einnimmt.
Detail: Ein Detail wird herausgestellt. Das kann ein sehr sinnlicher Mund oder sehr identische Gesichtshälften sein. Allerdings sind hier längere Brennweiten notwendig, um sich nicht selber das Licht zu nehmen und vor allem dem Porträtierten nicht zu nahe kommen zu müssen.
Schärfentiefe
Durch die Brennweite wird auch die Schärfentiefe beeinflusst. Extrem wichtig bei einem Porträtfoto ist, dass die Augen scharf sind. Allerdings kann je nach gewählter Brennweite und Blende die Schärfentiefe gering werden, so dass bei einem Halbprofil-Porträt bereits ein Auge nicht mehr scharf abgebildet werden kann. Achten Sie darauf, dass das vordere Auge scharf abgebildet ist. Es dürfen die Stirn und der Mund unscharf sein, aber die Augen müssen scharf abgebildet werden. Natürlich gilt auch hier die Regel beim Fotografieren, dass alle Regeln gebrochen werden dürfen. Das ist künstlerische Freiheit. Allerdings sollte man es dann bewusst tun und nicht jedes schlechte Foto mit künstlerischer Freiheit rechtfertigen.
Die Zusammenhänge von Blendenwert, Brennweite und Abstand bezüglich der Schärfentiefe werden im Kapitel „Schärfentiefe in der Fotografie“ erklärt.
Augen: Reflexpunkte und Glanz
Die Lebendigkeit der Augen entsteht durch die Glanzpunkte von Lichtquellen. Fehlen diese, wirken Augen sehr schnell leblos. In Filmen wird dies teilweise bei der Darstellung der Bösewichte eingesetzt – bei den Aufnahmen wird darauf geachtet, dass die Augen keine Glanzlichter haben.
Diese Glanzpunkte erhalten Sie durch das reflektierte Licht von Fenstern, Kerzen oder anderen Lichtquellen.
Sobald Blitzlicht eingesetzt wird, kann dieses entsprechend positioniert werden. Sehr lustig zu sehen, z.B. bei vielen Wahlplakaten, sind die Reflektoren und deren Form (oft rechteckig) in den Augen der Kandidaten. Besondere Highlights sind die Porträts, bei denen in einem Auge ein rechteckiger und im anderen Auge ein runder Lichtreflex zu sehen sind. Amüsant – einfach mal darauf achten. Das erklärt auch, warum man einen merkwürdigen Eindruck bei manchen Porträts hat. Der Lichtpunkt sollte natürlich sein. Meist sitzt er oben (von wo die Sonne i.d.R. auch scheint) und ist rund.
Lichtsetzung bei der Porträtfotografie
Oft liest man in verschiedenen Fotobüchern, dass man die Schokoladenseite der Person herausfinden muss. In einem Buch habe ich gelesen, dass man einfach auf den Haarscheitel achten solle. Die Gesichtsseite mit Scheitel sei fotogener. Solange ich das nicht bei 1000 Personen ausprobiert habe, bezweifle ich es.
Interessant sind zwei Ansätze, die erklären, dass das Führungslicht (Hauptlicht) auf die rechte Gesichtshälfte fallen sollte. Die eine Argumentation war, dass die westeuropäische Leserichtung von links nach rechts geht und es von hell nach dunkel angenehmer ist. Ein weiterer Erklärungsansatz ist, dass die linke Gehirnhälfte für die Emotionen zuständig ist, durch die Vernetzung aber die rechte Körperhälfte beeinflusst. Daher kann die rechte Gesichtshälfte mehr Emotionen ausdrücken und ist somit interessanter. Vielleicht dreht sich das ja bei manchen Menschen (Linkshändern). Aber zum Beobachten ist das immer interessant.
Es sollte ein einziges Führungslicht gesetzt sein (oder beim Blitzen gesetzt werden). Das wirkt am natürlichsten. Probieren Sie einmal Fotos mit verschiedenen Positionen einer einzigen Lichtquelle. Kommt die Lichtquelle von unten, wird das Porträt bereits sehr mystisch.
Blitzlicht und Porträt
Hier können durch gezieltes Setzen des Lichts sehr schöne Effekte und Porträts erzielt werden. Da dies ein umfangreicher Punkt ist, wird diesem ein eigenes Kapitel gewidmet.
Vier Tipps für die Porträtfotografie
1) Sprechen Sie mit Ihrem Modell!
Es ist in Fotokursen immer verstärkt zu beobachten, dass alle Teilnehmer um die Wette schweigen. Das Modell hat dann zwei Möglichkeiten – einfach sein Programm durchziehen oder einfach nichts tun. Allerdings kann das Modell nicht beurteilen, ob für eine Pose das Licht entsprechend passt, und ob das vom Standpunkt des Fotografen gut aussieht. Reden Sie mit dem Modell, sagen Sie, was Sie wollen, und wenn das Licht passt.
2) Sprechen Sie mehr mit Ihrem Modell!
Ja, und nochmals ja. Reden, reden und nochmals reden. Und dabei nicht das Loben vergessen. Je wohler sich das Modell fühlt, desto besser werden die Fotos. Die Emotionen eines Modells sind später auf den Fotos zu sehen (der Ärger unter Umständen auch) und auch genauso die Müdigkeit.
3) „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“
oder „Hättest Du geschwiegen, wärst Du Fotograf geblieben!“ (frei nach Boethius)
oder „Hättest Du geschwiegen, wäre Dir ein Modell geblieben!“ (frei nach Boethius)
Auch wenn Punkt 3 den ersten zwei Punkten zu widersprechen scheint – er tut es nicht! Schweigen Sie über unerwünschte oder schlechte Ergebnisse! Wenn man die Bilder kontrolliert, sollte man über seine eigenen schlechten Ergebnisse schweigen und seinen Ärger (in der Regel über sich selbst) hinunterschlucken und die entsprechenden Einstellungen am Licht oder an der Kamera ändern.
Nichts ist für ein Modell irritierender als ein Fotograf, der vor sich hin murrt. Das Modell wird unter Umständen den Unmut direkt auf sich beziehen. Am Anfang sind immer Probeaufnahmen notwendig. Und diese sind dazu da, „falsch“ gemacht zu werden, damit dann die Einstellungen an Licht und Kamera bei den richtigen Aufnahmen passen. Also bitte schweigen. Auch wenn eine Pose oder Idee einfach nicht funktioniert: ein paar Aufnahmen machen und zur nächsten Idee. Nichts ist schlimmer als Sprüche wie „Das funktioniert mit dir nicht“. Danach ist ein Shooting unter Umständen gelaufen (und manche Fotografen merken es nicht einmal).
4) Anfassen verboten
Das Anfassen des Modells durch den Fotografen oder die Fotografin ist ein absolute „No-Go“. Wenn es nicht anders geht, muss jedes Mal die Erlaubnis des Modells eingeholt werden. Ansonsten kann es sehr schnell passieren, dass das Shooting gegen die Wand fährt, und man eigentlich nach dem gravierenden Fehler (Anfassen, egal wo!) aufhören kann, weil sowieso keine guten Fotos mehr entstehen können.
Technische Aspekte der Porträtfotografie:
Wir wollen bei der Porträtfotografie das Spiel mit der Schärfentiefe. Dazu eignen sich große Kameras - also je größer der Bildsensor desto mehr Möglichkeiten bei der Schärfentiefe. Das Gewicht der Kamera wird größer, was aber bei der Porträtfotografie nicht wirklich ins Gewicht fällt.
Beim optimalen Objektiv für die Porträtfotografie wird die Wahl auf eines mit einer Brennweite um die 50 mm (beim KB-Format) fallen. Möchte man mehr Optionen, ist ein lichtstarkes Zoomobjektiv zwischen 24 - 70 mm eine gute Wahl. Möchte man es preisgünstiger (Lichtstärke ist kostenintensiv), dann hilft eine Festbrennweite von 50 mm. Festbrennweiten bieten oft auch eine deutlich bessere Schärfe. Und je mehr Lichtstärke desto besser. Hat man eine Lichtstärke von 1,4 oder weniger, hat man deutlich mehr Spaß.
Was versteht man unter Porträtfoto?
Porträtfotografie umfasst nicht nur die Aufnahme des Kopfes, sondern des Menschen. Es gibt hier unterschiedliche Arten:
- Kopfstück, Profilbild (Kopf + Ansatz von Schultern ohne Ausschnitt)
- Brustbild
- Halbfigur
- Amerikanisches Porträt (bzw. Halbnahe)
- Kniestück
- Ganzkörperbild (bzw. Halbtotale)
- Reiterporträt (heute nicht mehr üblich)
Wann welche Art ist abhängig von der beabsichtigen Bildaussage bzw. von der Zielsetzung. Ein Bewerbungsbild sieht anders aus als ein Foto für die Großeltern zu Weihnachten oder für den Lebenspartner.
Autor: Axel Pratzner