Psychologie und Fotografie: das Johari-Fenster
Das Johari-Fenster bietet uns in der Fotografie die Möglichkeit des Verständnisses von psychologischen, zwischenmenschlichen Prozessen. Durch das Verständnis sind bessere Fotos möglich und/oder kann auch Schaden vermieden werden. In der folgenden Grafik sieht man das komplette Johari-Fenster, das im folgenden Artikel Schritt für Schritt aufgebaut und erläutert wird.
Was wissen wir über uns selbst? Alles? Was weiß mein Partner bzw. Partnerin und andere über mich? Fast alles? Beides unterscheidet sich teilweise gravierend. Möchte man es in einem Schaubild zeichnen, sähe das vereinfacht so aus:
Mein Wissen über mich ist nichts anderes als die Selbstwahrnehmung.
Das Wissen anderer über mich ist die Fremdwahrnehmung.
Ein Austausch zwischen beiden Bereichen ist möglich. Ich erzähle den anderen etwas über mich oder der andere erzählt mir etwas über mich. Das symbolisieren die 2 Pfeile.
So weit, so gut und das Wissen darüber kann für die Fotografie hilfreich sein. Wir können durch unsere Fotos und den Aufnahmeprozess (die Fotosession) in das bestehende Gefüge eingreifen – versehentlich oder bewusst.
Wir können als Fotograf die Selbstwahrnehmung der porträtierten Person bestätigen oder verändern. Gäbe es bisher nur die beiden Fensterbereiche mit Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung, ginge es um die Überschneidung. Zum besseren Verständnis gehen wir kurz weg von der üblichen Darstellung der Johari-Fensterbereiche, hin zu 2 Kreisen mit einer Schnittmenge:
Meine Selbstwahrnehmung beinhaltet:
- Was nur ich von mir weiß: Geheimnis
- Was auch andere von mir wissen, die Schnittmenge wird im Johari-Fenster „Öffentliche Person“ genannt.
In der Fremdwahrnehmung
- Was auch andere von mir wissen (öffentliche Person)
- Was andere von mir wahrnehmen, aber ich nicht (dabei ist hingestellt, ob das der Wahrheit entspricht oder Fiktion ist)
Wir könnten also als Fotograf Geheimnisse ans Tageslicht zerren, die die porträtierte Person vielleicht nicht öffentlich haben möchte.
Andererseits könnten wir als Fotograf auch andere Sichtweisen aufzeigen. Beispielsweise sieht eine Person durch den Blick in einen Spiegel die eigenen Beine verkürzt, da der Blick von oben kommt. Das ist bauartbedingt beim Menschen mit dem Kopf oben.
Als Fotograf können wir über die Perspektive die Beine von der Länge optisch deutlich länger wirken lassen. Oder auch verkürzen. Somit kann über eine Fremdwahrnehmung die Eigenwahrnehmung verschoben werden.
In der Psychologie beim Johari-Fenster haben die 2 Bereiche der Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung die Bezeichnung:
- Mein Geheimnis
- Öffentliche Person
Und es gibt 2 weitere Bereiche. Unser Johari-Fenster ist also 4-geteilt.
Wie im letzten Beispiel schon beschrieben mit der eigenen Wahrnehmung der Länge der Beine. Bisher war es der porträtierten Person nicht bekannt oder bewusst. Nach der Schreibweise des Johari-Fensters haben wir damit einen „Blinden Fleck“. Es ist einem selbst nicht bekannt (dieses Wissen bzw. Erkenntnis fehlt in der Selbstwahrnehmung) und wird durch andere gesehen (Fremdwahrnehmung) und mir mitgeteilt. Dieses Detail rutscht also aus dem „Blinden Fleck“ rein in den Bereich der „öffentlichen Person“, wenn es mir andere mitteilen.
Hier wird es wichtig, wie feinfühlig der Fotograf ist. Es können Details zu einer Person im „blinden Fleck“ sich befinden, die eine Person nicht wahrhaben möchte und diese unter Umständen sogar verdrängt hat.
Hier beginnt der Bereich, bei dem man als Fotograf auch Schaden anrichten kann! Also hier besonders feinfühlig und behutsam sein.
Das Unbekannte im Johari-Fenster
Wir haben noch einen weiteren Fensterbereich. Hier fällt alles darunter, was weder der eigenen Person noch den anderen bekannt ist. Das ist somit das Unbekannte.
Auch hier gilt für den Fotografen das beim „blinden Fleck“ Gesagte. Es kann Schaden angerichtet werden!
DAS JOHARI-FENSTER
Der Zweck des Johari-Fensters in der Fotografie
Wir können als Fotografen darüber nachdenken, was beim Fotografieren zwischenmenschlich passieren kann. Wir machen nicht „einfach“ nur Fotos. Fotos können wirken und etwas bewirken – im Guten wie im Schlechten! Dabei möchte man als Fotograf i.d.R. keinen Schaden anrichten. Ich höre so oft von Menschen, dass sie. sich nicht fotografieren lassen möchten aus schlechten Erfahrungen. Und diese Erfahrungen kommen oft aus den unteren Bereichen des Johari-Fensters und von Grenzüberschreitungen von Fotografen.
Und man sollte sich als Fotograf auch darüber bewusst sein, dass man je nach Einsatz der Technik auch Verzerrungen produziert, die der Porträtierte dann als Wahrheit hinnimmt. Beispielsweise: Je nach gewählter Brennweite kann ich ein Gesicht runder oder schmaler dargestellt werden! Wie das technisch funktioniert, kann man im Technikbereich des Fotokurses nachschlagen.
Die Größe der einzelnen Fensterbereiche
Wichtig zu berücksichtigen ist auch, dass die Größen der einzelnen Fensterbereiche des Johari-Fensters je nach Menschen unterschiedlich groß sind und die persönliche Beziehung eine Rolle spielt, wie viel von welchem Bereich gezeigt wird bzw. wie die Verteilung ist.
Sehr oft nimmt der untere Bereich mit „Blinder Fleck“ und „das Unbekannte“ einen großen Bereich ein!
Wie wird das Johari-Fenster eigentlich eingesetzt?
Oft wird es in Gruppenprozessen eingesetzt. Dazu bekommen die Teilnehmer die folgende Liste mit 56 Adjektiven, von denen dann 5 bis 6 Adjektive einer Person zugeordnet werden. Die Person selbst sucht sich auf Basis ihrer Selbstwahrnehmung auch 5-6 Begriffe. Jetzt wird das Vergleichen interessant.
- akzeptierend
- albern
- angespannt
- anpassungsfähig
- aufmerksam
- bescheiden
- bestimmt
- energievoll
- entspannt
- extrovertiert
- fähig
- freundlich
- fürsorglich
- geduldig
- geschickt
- genial
- glücklich
- großzügig
- heiter
- hilfreich
- idealistisch
- intelligent
- introvertiert
- kompetent
- komplex
- kühn
- liebevoll
- logisch
- mächtig
- mitfühlend
- nachdenklich
- nervös
- nett
- organisiert
- reaktionsschnell
- reif
- religiös
- ruhig
- scheu
- schlau
- selbstbewusst
- selbstsicher
- sentimental
- spontan
- still
- stolz
- suchend
- tapfer
- unabhängig
- verlässlich
- vernünftig
- vertrauenswürdig
- warmherzig
- weise
- witzig
- würdevoll
Die Namensgeber des Johari-Fensters
Durch die amerikanischen Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham wurde 1955 das Johari-Fenster entwickelt. Die Anfangsbuchstaben der Vornamen gaben dem Modell seinen Namen JOseph und HARry(i).